Hunde sollten nicht für ihr Futter arbeiten müssen: Warum „Leckerchen-Training“ negative Auswirkungen auf den Hund hat und wie man es auch anders machen könnte
Einleitung
Grundsätzlich sollte jeder Hund sich immer sicher sein können, dass seine Besitzer*innen ihn mit genügend Nahrung versorgen. Mit Futter kann beim Hund keine sichere Bindung aufgebaut werden. Futterentzug kann einer sicheren Bindung sogar schaden, da eine sichere Bindung auch mit der Sicherheit einhergeht, dass die Grundbedürfnisse erfüllt werden.
Bei einer sicheren Bindung ist die Bezugsperson des Hundes seine Basis für Selbstwirksamkeitserfahrungen sowie sein sicherer Hafen – ein Bezugspunkt, bei dem der Hund Schutz bei Unsicherheiten, Ängsten oder Stress finden kann. Eine solche Bindung entsteht also zu einer Person, die einen schützen kann und somit Sicherheit bietet. Futter wird in Bezug auf das Thema Sicherheit erst relevant, wenn ein Defizit, sprich Futterentzug, besteht. (siehe Grundlagenforschung an Rhesusaffen-Babys, mit Bezug zur Mutter-Kind-Bindung von Harry Harlow, 1958).
Die Grundlagen
B. F. Skinner, Begründer des Radikalen Behaviorismus und der historischen Lerntheorien, hat massiv mit Futterentzug bei seinen Versuchen gearbeitet. Leider funktioniert dies auch heute noch häufig über das bekannte „Leckerchen-Training“, bei dem der Hund für gewünschtes Verhalten mit Nahrung „belohnt“ wird. Das Erhalten der Nahrung wird hierbei also an eine Bedingung geknüpft. Der nächste Schritt in dieser Form des konditionierenden Lernens ist oft das intermittierende Verstärken des gewünschten Zielverhaltens. Das intermittierende Verstärken (die nicht regelmäßige Verstärkung eines Zielverhaltens) basiert jedoch aus Sicht des Hundes auf Futterentzug und somit negativer Strafe: in diesem Falle dem Vorenthalten eines erwarteten Futterstücks.
Dies erzeugt Unsicherheit, steigert Erwartungshaltung und Leistungsdruck und führt zum sogenannten „Spielautomateneffekt“, der suchtähnliches Verhalten hervorrufen kann. Vielen ist nicht bewusst, dass selbst bei der sogenannten belohnungsbasierten Arbeit mit positiver Verstärkung die negative Strafe oft mehr genutzt wird, als echte positive Verstärkung. Durch die Unvorhersehbarkeit solcher Methoden fehlt es dem Hund an Sicherheit, die wie beschrieben, die Grundlage für eine sichere Bindung ist. Vor allem wird deutlich, dass der Hund etwas leisten muss, um Anerkennung (in Form von Futter) zu erhalten – die bedingungslose Akzeptanz, die ihm das Sicherheitsgefühl gibt, fehlt. Auf den ersten Blick können solche Beziehungen positiv wirken, doch der Hund sucht dabei meist pausenlos nach Anerkennung und Zugehörigkeit.
„The will to please“ wird hier missverständlich oder gar falsch interpretiert und sollte besser als eine Form der „Sozialsucht“ verstanden werden.
Diese ist kennzeichnend für einen unsicher-ambivalenten Bindungsstil, geprägt durch die pausenlose Suche nach Akzeptanz, Anerkennung und Zugehörigkeit sowie der Angst vor dem Versagen und Zurückweisung.

Hunde werden aktiv, wenn das Appetithormon Ghrelin im Körper ansteigt
Verhaltensphysiologie
Leckerchen-Training stört den normalen physiologischen Ablauf des Nahrungserwerbsverhaltens: Jagen, Fressen und Verdauen.
Hunde werden aktiv, wenn das Appetithormon Ghrelin im Körper ansteigt. Das Nahrungssuch-, und Erwerbsverhalten ist die natürliche Reaktion darauf.
Der Ablauf:
- Während der Suche und Erbeutung der Nahrung wird Dopamin produziert, was das Selbstwertgefühl steigert.
- Parallel verstärkt sich die Enzymproduktion, die für eine gute Verdauung nötig ist.
- Nach dem Jagderfolg führt die Endorphin-Ausschüttung zu einem Gefühl des Wohlbefindens.
Der normale Ablauf nach dem Nahrungserwerb sollte sein, dass der Hund seine Mahlzeit in einer Portion frisst (außer bei gesundheitlich bedingten Ausnahmen). Ein gut gefüllter Magen sorgt dafür, dass genügend Leptin (Sättigungshormon) produziert wird.
Effekte:
- Leptin sorgt für Zufriedenheit und löst die Serotoninproduktion aus (körpereigenes Beruhigungsmittel).
- Serotonin steht im Zusammenhang mit Melatonin, was innere Ruhe, Homöostase und tiefen Schlaf fördert.
- Im Tiefschlaf verarbeitet der Hund Erlebnisse optimal vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis.
Beim Leckerchen-Training wird dieser natürliche Ablauf unterbrochen, was die Produktion von Leptin und Serotonin beeinträchtigt. Dies erklärt die Unruhe, die bei dieser Vorgehensweise beobachtet werden kann.
Auswirkungen des Leckerchen-Trainings und artgerechte Alternativen
Hunde sollten artgerechte Möglichkeiten für ihr natürliches Nahrungserwerbsverhalten erhalten. Wie schon erwähnt, Hunde müssen nicht für ihr Essen „arbeiten“. Wichtiger ist es, Hunden Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen, damit sie stolz auf sich sein können und mehr Selbstsicherheit erlangen können. Leckerchen-Training verhindert dies, da der Hund oft Verhalten zu Gunsten des Menschen produzieren soll, was oft für ihn nicht sinnvolle Handlungen sind.
Das reine, ausschließliche Füttern aus dem Napf, lässt das oben beschriebene Nahrungserwerbsverhalten unberücksichtigt und bereitet den Körper nicht auf die Mahlzeit vor.
Neue Perspektiven:
- Weg vom Gedanken, dass der Hund etwas fürs Futter leisten muss.
- Hin zu Möglichkeiten, den Hund durch artgerechte Aufgaben und Erfahrungen zu fördern.
- Besonders der Bereich des Nahrungserwerbs ist essenziell, da er eine der ersten Fähigkeiten ist, die soziallebende Säugetiere von ihren Eltern lernen.

Hunde sollten artgerechte Möglichkeiten für ihr natürliches Nahrungserwerbsverhalten erhalten
Fazit
Hunde sollten nicht für ihr Futter arbeiten müssen. Vielmehr sollten wir ihnen Möglichkeiten bieten, wichtige lebenspraktische Fertigkeiten zu erlernen und die ihnen natürlich gegebenen Talente nutzen zu können. Die Fixierung auf Kommandos und Gehorsamkeit sollte durch die Förderung von Selbstwirksamkeit und natürlichen Verhaltensweisen ersetzt werden. So können Hunde ihre Bedürfnisse ausleben und ein ausgeglichenes, gesundes Leben führen.
Hilfsangebote
Professionelle Hilfe
Eine sichere Bindung zwischen Hund und Mensch ist die Grundlage für ein harmonisches Zusammenleben. Wenn Unsicherheiten bestehen oder der Hund Schwierigkeiten zeigt, sich auf seine Bezugsperson zu verlassen, kann es hilfreich sein, eine erfahrene Hundetrainerin, Hundeerziehungsberaterin oder Natural Dogmanship Instruktor*in hinzuzuziehen. Die Ursache von Bindungsproblemen liegt oft in mangelnder Sicherheit oder fehlendem Vertrauen. Mit fachkundiger Unterstützung kann die Bindung schrittweise gestärkt werden. Eine einfühlsame und kompetente Beratung hilft dabei, dem Hund Orientierung und Sicherheit zu geben, sodass er sich in seiner Beziehung zum Menschen geborgen fühlt.
Wo bekomme ich Hilfe / finde Ansprechpartner*innen?
Eine enge Zusammenarbeit mit einem professionellen Hundeerziehungsberater*in vor Ort ist bei der Arbeit an der Bindung besonders wertvoll. Wie auch im Umgang mit Menschen ist eine persönliche und individuelle Begleitung bei der Stärkung der Bindung entscheidend. Unser Netzwerk umfasst ausgebildete Natural Dogmanship® Instruktorinnen und Hundeerziehungsberaterinnen, die bei diesem Prozess unterstützen können. Ich wünsche viel Erfolg auf dem Weg zu einer starken und vertrauensvollen Bindung zwischen dir und deinem Hund!
© Jan Nijboer | Institut für Hundeerziehungsberatung
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